Von Anfang an das Ende bedacht: Rethink-Prinzip bei Audi

Kreislaufwirtschaft ist ein mittlerweile schon gut etablierter Begriff, der in seinem Kern vor allem auf eines abzielt: am Ende eines Produktlebens möglichst viel weiterverwenden und möglichst wenig „wegwerfen“. Besonders aussichtsreich ist hier neben den Prinzipien „Reduce“, „Reuse“ und „Recycle“ vor allem „Rethink“. Also der Ansatz, bereits in der Konzeptionsphase neuer Bauteile deren spätere Kreislauffähigkeit in den Fokus zu rücken.

Von Reuse und Recycle … 

Selbstverständlich kommen schon in aktuellen Modellen von Audi diverse Rezyklate zum Einsatz. Im aktuellen Audi A6 e-tron etwa werden der Frunk, dessen benachbarten Abdeckungen und andere Teile im Vorderwagen aus Rezyklat-Material gefertigt, während im Innenraum wiederum die nachhaltige Mikrofaser Dinamica und das Textil Kaskade beim Softwrap in der Schalttafel, im Türspiegel, in der Türarmauflage, an den Seitenwangen, der Mittelkonsole und in der Mittelarmlehne zum Einsatz kommt. Dinamica sieht aus wie Veloursleder und fühlt sich auch so an, besteht aber fast zur Hälfte aus recyceltem Polyester oder Produktionsverschnitten. Der Stoff Kaskade erinnert an Naturfasern und besteht zu 15 Prozent aus Webkanten und 35 Prozent aus recyceltem Polyester. Dachhimmel und -säulen sind unter anderem aus einem Stoff gefertigt, der zu 100 Prozent aus recyceltem Polyester besteht. Die Fußmatten sind unter anderem aus Econyl gefertigt, einer zu 100 Prozent recycelten Nylonfaser, die aus alten Fischernetzen, Teppichresten und Industrieabfällen hergestellt wird.

Audi verfolgt aber natürlich die Ambition, den Anteil von Sekundärmaterial in Neufahrzeugen stetig weiter zu erhöhen. Mit der nächsten Generation von Elektroautos auf Basis der Scalable Systems Platform (SSP) wollen die vier Ringe verstärkt auf sogenanntes Post-Consumer-Material setzen. Das recycelte Material stammt größtenteils aus Produkten, welche bereits von Endverbrauchern genutzt wurden. Deren Recycling ist aufgrund einer notwendigen Demontage und der Sortierung des Materialmixes deutlich anspruchsvoller als das von Post-Industrial-Materialien, die wiederum aus industriellen Produktionsabfällen stammen - zum Beispiel den erwähnten Verschnitten – die vergleichsweise einfach zu verarbeiten sind. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel auf Post-Consumer-Rezyklat zu setzen und dabei die Qualität des Ursprungsmaterials zu halten (Vermeidung von Downcycling), umso ambitionierter.

… zu Rethink

Der nächste, logische Schritt aber, also das Rethink-Prinzip, setzt im skizzierten Kreislauf noch deutlich vorher an: in der frühen Phase der Produktentwicklung nämlich. Nach dem „Design for Circularity“-Grundsatz konstruierte Bauteile werden also bereits in der Konzeptionsphase auf eine spätere Kreislauffähigkeit ausgelegt. Bei derartig entwickelten Teilen werden Eigenschaften wie die Fähigkeit zur Demontage, Reparatur, Wartung und zum Recycling von Anfang an mitbedacht. 

„Es geht dabei um viel mehr als ‚nur‘ Design. Wir verändern die Herangehensweise, wie wir Fahrzeuge entwickeln. Unser Ausgangspunkt ist das Ende: Wir denken bereits vor dem Start eines Produktlebenszyklus an sein Ende und wie wir es kreislaufgerecht gestalten können.“

Christine Maier Designerin im Bereich Colour & Trim der AUDI AG

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, erfordert es das Know-How von Expert_innen aus vielen Bereichen des Unternehmens. Etwa aus dem Design, der Technischen Entwicklung, der Beschaffung oder der Unternehmensqualität. Ein Beispiel: 

Wenige andere Bauteile im Innenraum eines Fahrzeugs werden so strapaziert und sind zugleich von so hoher Bedeutung für den Komfort der Insass_innen wie der Sitzbezug. Für diesen wird die Sitzoberfläche mit einer Unterware verklebt. Bisher gehört es in der Automobilindustrie zum Standard, dass der Sitzbezug aus mehreren Materialfamilien zusammengesetzt ist. Der Stoff der Sitzoberfläche besteht in der Regel aus Polyester und wird mit einer Unterware, meist Polyurethan-Schaum, verklebt; es handelt sich also um einen Materialverbund. Diese lassen sich im Recyclingprozess nur schwer voneinander trennen. 

Die Lösung: Monomaterialien; also „sortenreine Bauteile“. Ein von Audi neu entwickelter Sitzbezug besteht aus eben solchem Material. So lassen sich nicht nur Verschnitte direkt recyceln, sondern auch die Bezüge selbst am Ende ihre Produktlebens in den Kreislauf zurückführen; insgesamt drei bis fünf Mal, anstatt nur einmal wie bei herkömmlichen Bezügen.

Günther Ernst ist in der Technischen Entwicklung im Bereich Innenverkleidung für die Materialentwicklung von Textilien zuständig: „Wir haben das einmal hochgerechnet. Mit dem Recycling der sortenreinen Verschnitte aus der Sitzbezugproduktion könnte Audi pro Modell und Jahr circa 160.000 Quadratmeter an Textilmaterial einsparen. Das sind rund neun Tonnen Material pro Jahr und Modell. Da ließe sich jetzt entgegnen: ‚Diese Menge produziert ein großer Textillieferant in etwa an einem Tag.‘ Es ist ein Anfang. Das wahre Potenzial wird deutlich, wenn wir uns vorstellen, was passiert, wenn wir das Konzept auf andere Bauteile übertragen.“

Schon heute!

Sortenreine Bauteile mit Premiumanmutung herzustellen ist aber bei Audi keine reine Zukunftsvision, sondern eine Herausforderung, welche in einzelnen Bereichen bereits heute gelöst und die Lösung zum Patent angemeldet wurde: Die neuen Türinnenverkleidungen haben, ebenso wie klassische Bauteile, einen mehrschichtigen Aufbau. Jedoch stammen alle Schichten (Träger, Weichkomponente und Oberfläche) aus einer Materialfamilie und sind somit sortenrein.

„Bauteile, die nach diesem Verfahren hergestellt wurden, können als Rohstoffe wiederverwendet werden. Sie dienen als Ausgangsmaterial für Bauteile im Fahrzeuginnenraum mit der gleichen Wertigkeitsstufe. Ein Novum in der Automobilindustrie.“

Kai Schauerte Value Engineer, Audi Beschaffung

Christine Maier abschließend: „Als Automobilhersteller tragen wir – und damit auch ich als Designerin – Verantwortung, die über die reine Ästhetik hinausgeht. Sicher, ein Sitz der Zukunft muss mindestens ebenso gut aussehen und komfortabel sein wie sein konventioneller Vorgänger. Aber er muss eben auch leichter zu recyceln sein.“

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