Virtual Reality und 3D-Scans: Die digital geplante Fertigung des Audi e-tron GT

• Audi e-tron GT ist erstes Modell der Marke, dessen Fertigung komplett ohne physische Prototypen geplant wurde.
• Audi entwickelt VR-Software für Planung und Workshops im virtuellen Raum
• 3D-Scans nutzen Künstliche Intelligenz und Machine Learning: 250.000 Quadratmeter Produktionsfläche am Standort Neckarsulm bereits digitalisiert

Der Audi e-tron GT ist das erste Modell der Vier Ringe, dessen Fertigung komplett ohne physische Prototypen geplant wurde. Möglich machten dies mehrere technische Innovationen wie dreidimensionale Gebäudescans, Prozesse des Machine Learnings sowie der Einsatz von Virtual Reality. So wurden sämtliche Montageprozesse wie Abläufe und Handgriffe der Mitarbeiter in virtuellen Räumen, welche die realen Vorbilder bis ins kleinste Detail abbilden, erprobt und optimiert. Diese virtuelle Planung kommt inzwischen standortübergreifend zum Einsatz und sorgt so – nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie – für ein digitales, vernetztes Arbeiten ohne Dienstreisen oder Auslandseinsätze. 3D-Scans und die Planung im virtuellen Raum gestalten Prozesse effizienter und nachhaltiger.

Wo kommt die virtuelle Planung zum Einsatz und weshalb sind 3D-Scans hierfür so wichtig?

Im herkömmlichen Planungsprozess zur Fertigung eines neuen Audi-Modells kommen unterschiedliche Prototypen zum Einsatz. Die Fahrzeug-Prototypen werden während der frühen Planungsphase als Unikate mit in Handarbeit hergestellten Bauteilen gefertigt. Dies ist zeit- und kostenintensiv. Mithilfe dieser Prototypen legt die Montageplanung die späteren Fertigungsprozesse fest und optimiert diese.

Was sind die Tätigkeiten eines Mitarbeiters? Wo muss ein Bauteil liegen, um für ihn optimal erreichbar zu sein? Kann er es alleine halten und verbauen? Wie muss er sich hierfür bewegen? Sind andere Bauteile im Weg? Was für Werkzeuge benötigt er? Bei der Fertigungsplanung des Audi e-tron GT wurde die Erarbeitung und Beantwortung dieser Fragen nun in die digitale Welt verlagert. Mithilfe von Virtual Reality wird jeder Schritt und jeder Handgriff im digitalen Raum erprobt. Ziel der virtuellen Planung ist, dass bei der späteren Fertigung des Autos alle Prozesse perfekt ineinandergreifen und die Takte entlang der Linie nahtlos aufeinander abgestimmt sind. Hierfür müssen die Begebenheiten in der Produktionshalle präzise und maßstabsgetreu nachgebildet werden. An dieser Stelle kommen 3D-Scans ins Spiel. Mit spezieller Hard- und Software kreieren sie ein virtuelles Abbild der realen Produktionsstätte samt Anlagen, Werkzeugen und Regalen. Die Audi Böllinger Höfe am Standort Neckarsulm, wo der Audi e-tron GT gefertigt wird, gibt es nun also auch in der digitalen Welt. Und dank neuer, digitaler Planungsmethoden lässt sich auf dieser Grundlage bereits Jahre im Voraus die Fertigung von morgen virtuell planen.

Wie funktionieren die 3D-Scans und welche Rolle spielt künstliche Intelligenz dabei?

Grundlegend für das Generieren der entsprechenden Daten ist ein Scanner, also die Hardware. Er ist etwa zwei Meter hoch und steht auf vier Rädern, auf denen er von einem Mitarbeiter durch die Räume bewegt wird. Am oberen Ende sind ein LiDAR (Light Detection and Ranging) sowie drei weitere Laser-Scanner und eine Kamera verbaut. Beim Scannen eines Raumes geschehen zwei Vorgänge gleichzeitig: Die Weitwinkel-Kamera nimmt ein Bild des Raumes auf, während die Laser diesen exakt vermessen und eine dreidimensionale Punktewolke der Umgebung erstellen. 250.000 Quadratmeter an Produktionshallen wurden alleine am Standort Neckarsulm mit dieser Technik bereits erfasst. Doch erst das Zusammenspiel aus Hard- und Software macht aus den erzeugten Punkten, Bildern und komplexen Datensätzen ein verwertbares Gesamtbild, das mit den bestehenden Planungssystemen genutzt werden kann. Die Software hierfür ist eine Eigenentwicklung von Audi, die auf künstlicher Intelligenz und Machine Learning basiert.

Die Punktewolke sowie die aufgenommenen Fotografien werden miteinander kombiniert, es entsteht ein dreidimensionaler, fotorealistischer Raum – ähnlich der Ansicht bei Google Street View. Proportionen und Größen stimmen maßstabsgetreu mit der Realität überein. Die Software erkennt zudem automatisch sämtliche Gegenstände wie beispielsweise Maschinen, Regale und Anlagen im Raum. Zudem lernt sie mit jedem Scanvorgang automatisch dazu und kann Gegenstände noch präziser erkennen, unterscheiden und klassifizieren. Das System differenziert beispielsweise zwischen einem Regal und einem Stahlträger – die Positionierung des Regals kann später im Programm verändert und im virtuellen Raum neu ausgerichtet werden.

Die des Stahlträgers nicht. Diese Daten ermöglichen von überall aus einen virtuellen Rundgang durch die gescannte Fertigung und lassen sich direkt im Planungsprozess einsetzen.

Wo wird die virtuelle Planung mit Virtual Reality bereits eingesetzt und welche Vorteile ergeben sich daraus?

Der Audi e-tron GT ist das erste Fahrzeug der Marke, dessen Montageabläufe und zugehörige Logistikprozesse ausschließlich virtuell und ohne physische Prototypen erprobt wurden. Dazu wird ein ganzheitliches, virtuelles Abbild der geplanten Montage unter anderem mit Fahrzeugdaten, Materialanstellung, Anlagen, Werkzeugen und den geplanten Prozessen im sogenannten Digitalen Abbild aufbereitet. Ein Bestandteil dessen sind die 3D-Scans. Das digitale Abbild bildet die Grundlage für weitere Innovationen, wie Andrés Kohler, zuständig für die Virtuelle Montageplanung bei Audi, erläutert: „Dank einer von uns bei Audi entwickelten VR-Lösung und des digitalen Abbildes treffen sich nun Kollegen aus aller Welt in virtuellen Räumen und finden sich mitten in der Fertigung von morgen wieder. Dort können sie computergenerierten Werkern bei der Verrichtung der geplanten Abläufe über die Schulter schauen und die geplanten Prozesse für beliebige Bauteilvarianten in unserer Anwendung selbst erleben und optimieren.“ Die Ergebnisse lassen sich anschließend für die Qualifizierung von Mitarbeitern nutzen – ebenfalls auf Basis der VR-Anwendung.

Diese neuen Möglichkeiten finden nun sukzessive bei weiteren Projekten und an mehreren Standorten Einsatz. So fand am Audi Standort in San José Chiapa in Mexiko ein entsprechender 3P-Workshop (3P = Production Preparation Process) statt, an dem auch Projektbeteiligte aus Ingolstadt teilnahmen. Ganz virtuell – in Form von digitalen Avataren – besprachen und planten die Experten die Fertigung des Facelift des Audi Q5 und neuen Q5 Sportbacks mit VR.

Die Erprobung aller Montageabläufe wird dabei in Echtzeit ebenso gemeinsam erarbeitet und erprobt, wie die exakte Anordnung von Maschinen, Regalen und Bauteilen entlang der Montagelinie oder ergonomische Aspekte. Audi ist bei der Entwicklung der umfassenden VR-Lösung samt digitalem Abbild im Konzern führend. Das Projekt wird aktuell unter dem Lead der Vier Ringe als Konzernprojekt markenübergreifend weitergeführt und auf immer mehr Standorte ausgerollt.

Mehr als Gebäude und Prozesse: Wie funktioniert die virtuelle Behälterplanung?

Nicht nur Prozesse und Arbeitsabläufe lassen sich virtuell planen – auch Gegenstände wie etwa Behälter für den Transport und die Aufbewahrung empfindlicher Bauteile, sogenannte Sonderladungsträger. Statt mit mehreren realen Prototypen aus Stahl und Eisen wurden diese für einzelne, besonders sensible Bauteile des Audi e-tron GT – beispielsweise elektrische Module oder Interieur-Bauteile – in der von Audi standort- und bereichsübergreifend entwickelten Virtual Reality Anwendung geplant. Und so funktioniert die virtuelle Behälterplanung: Da die Datensätze für alle Bauteile vorhanden sind, können diese direkt und maßstabsgetreu in die VR-Anwendung geladen werden. Wie bei den 3P-Workshops treffen sich nun mehrere Mitarbeiter unterschiedlicher Standorte im virtuellen Raum und überprüfen dort anhand des Bauteils den perfekten und maßgeschneiderten Ladungsträger. Mitarbeiter von Logistik, Montageplanung, Arbeitssicherheit, Qualitätssicherung, Materialflussplanung sowie Lieferanten sind an diesem Prozess beteiligt. Mit digitalen Stiften können sie Änderungen am virtuellen Behälter markieren. Der Behälter wird dabei be- und entladen, bewegt oder vermessen.

Bei der Planung geht es einerseits um die optimale Transportsicherheit des Bauteils. Andererseits müssen es Mitarbeiter oder ein Roboter auch gut greifen und aus dem Ladungsträger herausnehmen können. Ist die virtuelle Konzeption abgeschlossen, werden die Daten einfach exportiert und der Sonderladungsträger wird angefertigt.

Was macht die virtuelle Planung so nachhaltig und ökologisch?

Manchmal ist weniger mehr. Deshalb machen drei Punkte die virtuelle Planung besonders nachhaltig:

Weniger Ressourcen: Die virtuelle Planung des Audi e-tron GT ohne physische Prototypen sparte auf der einen Seite Zeit, auf der anderen Material und damit Ressourcen ein. Ebenso verhält es sich bei den Sonderladungsträgern, also der virtuellen Behälterplanung: Die Fertigung von Prototypen aus Stahl und Eisen benötigt Ressourcen und Energie. Die virtuelle Planung macht diesen Schritt nun in vielen Fällen überflüssig.

Weniger Abfall: Als Alternative zu Sonderladungsträgern wurden empfindliche Bauteile häufig in Universalladungsträgern transportiert, die zuvor mit einem speziell angefertigten Teileschutz ausgekleidet wurden. Dieser Schutz ist jedoch stets reines Einwegmaterial und wird durch die Nutzung maßgeschneiderter Behälter überflüssig. Die virtuelle Planung spart somit unmittelbar Abfall.

Weniger Dienstreisen: Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind das primäre Ziel. Doch in Zeiten der Corona-Pandemie sprechen auch gesundheitliche Gründe dafür, die Anzahl von Dienstreisen bestmöglich zu reduzieren. Die virtuelle Planung trägt maßgeblich hierzu bei. Prozesse, die bislang ein physisches Treffen unabdingbar machten, sind nun im virtuellen Raum möglich.

Welche zukünftigen Perspektiven eröffnet die virtuelle Planung?

Das digitale Abbild bietet die Grundlage für weitere Möglichkeiten im virtuellen Raum. Kombiniert man die Möglichkeiten der virtuellen Planung samt digitalem Abbild, 3D-Scans und der Virtual Reality-Anwendung mit denen des 3D-Drucks, könnten 3P-Workshops zukünftig auch in einer Mixed Reality abgehalten werden. Einzelne Bauteile würden dann unmittelbar über einen 3D-Drucker mit geringem Ressourceneinsatz erstellt werden. So lassen sich einzelne Elemente auch physisch im virtuellen Raum erproben, um beispielsweise die Haptik und das Gewicht der Bauteile beurteilen zu können. Ein wichtiger Schritt, um die Vorteile beider Welten zu vereinen. Auslandseinsätze und größere Dienstreisen könnten in Zukunft häufiger durch virtuelle Treffen und die Zusammenarbeit via Avataren in der virtuellen Welt ersetzt werden. Schon heute besteht die Möglichkeit, die vom 3D-Scanner kreierten Räume zur digitalen Indoor-Navigation zu nutzen. Und mittels Augmented Reality lässt sich dabei die Positionierung von Maschinen und Anlagen im Raum zentimetergenau planen.

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