24 Stunden von Le Mans: Die Setup-Herausforderung in den berühmten Porsche-Kurven

Wenn die Piloten den Porsche 911 RSR zum Tanz auffordern

Es herrscht Rennbetrieb: Mit über 300 km/h eilt der Porsche 911 RSR über die Landstraße D338 von Le Mans in Richtung Tours. In den zwei Schikanen, die im Alltag gesperrt und ein beliebter Standort für Blitzer sind, räubert der rund 515 PS starke GTE-Sportwagen hart über die Randsteine. Mit maximalem Tempo geht es über die Mulsanne Corner und Indianapolis zur berühmten Arnage – der langsamsten Stelle des 13,626 Kilometer langen Circuit des 24 Heures. Der Fahrer geht beim Herausbeschleunigen früh aufs Gas, wirft all seinen Mut und seine Erfahrung in die Waagschale, denn nur wenige Sekunden später liegen sie vor ihm: die Porsche-Kurven. Fünf ultraschnelle Richtungswechsel, bei den Teilnehmern ebenso geliebt wie gefürchtet und der spektakulärste Streckenabschnitt des französischen Langstreckenklassikers.

Le Mans ist weltweit bekannt für seine langen Geraden und berühmten Passagen. Kurven wie die Tertre Rouge und ikonische Elemente wie der Dunlop-Bogen lassen die Herzen der Langstreckenfans höherschlagen. In der Gunst vieler Zuschauer steht jedoch ein anderer Bereich noch weiter oben in der Beliebtheitsskala: die Porsche-Kurven. Ursprünglich trug nur der lange Rechtsbogen (Turn 23) nach der Arnage-Kurve den Namen Porsche. Mittlerweile werden auch die Bereiche Virage du Pont, Esses du Karting und Virage Corvette in diese Titulierung mit einbezogen. Die flüssige Kombination von zwei Rechts- und drei Linkskurven stellt die Teams und Piloten immer wieder vor große Herausforderungen – die Rennwagen stoßen hier hinsichtlich Abtrieb und Haftung an ihre ultimativen Grenzen.

„Es ist definitiv die anspruchsvollste Passage in Le Mans – und gleichzeitig jene, die den Fahrern am meisten Spaß macht“, schildert Jörg Bergmeister. Der langjährige Werksfahrer und heutige Porsche Markenbotschafter feierte 2019 mit dem Kundenteam Project 1 den GTE-Am-Klassensieg in Frankreich. „Obwohl die Autos aufgrund der langen Geraden auf geringen Abtrieb getrimmt werden, jagen wir dort mit dem Porsche 911 RSR teils mit über 200 km/h durch die Kurven“, beschreibt der „Lange aus Langenfeld“. Die insgesamt 1.029 Meter lange Passage zwischen den Streckenposten 30 und 33 wird in flotten 17,6 Sekunden absolviert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt trotz ständiger Kurvenfahrt bei über 210 km/h. „Die erste Rechtskurve fahren wir im vierten Gang an, für die beiden folgenden Linksbögen geht es in den fünften, anschließend wieder in den vierten Gang. Es ist ein Spektakel“, erläutert Bergmeister, der zwischen 2002 und 2019 insgesamt 17 Mal in Le Mans am Start war.

„Wer über die gesamte Runde in Le Mans schnell sein möchte, der muss auf den langen Hunaudières-Geraden ordentlich Tempo haben“, betont Einsatzleiter Alexander Stehlig. „Wir wollen auf den Geradeaus-Stücken möglichst über 300 km/h fahren. Dann fällt das Überholen leichter, was in Le Mans sehr wichtig ist. Um dies zu erreichen, wird der Porsche 911 RSR – wie alle anderen Autos auch – auf sehr geringen Luftwiderstand getrimmt. Das heißt, er besitzt nur wenig Abtrieb. Es ist ein Dilemma, denn vor allem in den schnellen Porsche-Kurven brauchen wir eigentlich maximale Downforce“, so der Ingenieur. Warum wird das Setup nicht auf die Bedürfnisse in den schnellen Kurven angepasst? Der potenzielle Rundenzeitgewinn würde die Nachteile des geringeren Tempos auf den langen Geraden niemals ausgleichen können.

„Wir müssen auf Basis eines Low-Downforce-Setups dafür sorgen, dass das Auto für die Kurvenfahrten gut ausbalanciert ist“, sagt Stehlig. „Und das ist knifflig. Denn im Bereich der Porsche-Kurven spielen die Fahrer mit dem Gaspedal. Mal fahren sie mit Halbgas, mal gehen sie voll aufs Gas. Das sorgt für Lastwechsel und sogenanntes Pitching – das Fahrzeug federt auf der Vorderachse ein, sobald weniger Vortrieb anliegt. Hierdurch verschiebt sich die aerodynamische Balance nach vorn. Das Auto lenkt dann zwar zackig ein, aber es führt schnell zu einem Übersteuern, das dort wirklich niemand gebrauchen kann. Wir sorgen also mit unserer Setup-Arbeit dafür, dass die aerodynamische Plattform möglichst stabil und das Auto somit berechenbar bleibt. Das ist in diesem Streckenstück der Schlüssel zum Erfolg.“

In den fünf Kurven schwankt die Geschwindigkeit im engen Bereich von 189 bis 228 km/h. Dabei liegen in jedem einzelnen Bogen Fliehkräfte von 2,29 bis 2,42 g an. Wie enorm schnell die Porsche-Kurven sind, belegen weitere Daten: Der gut ein Kilometer lange Streckenabschnitt macht 7,5 Prozent der gesamten Runde aus. Beim schnellen Durchfahren der Fünffachkombination vergehen mit dem Porsche 911 RSR nur 17,6 Sekunden – und somit gerade einmal rund vier Prozent der gesamten Rundenzeit, die bei den GTE Pro-Rennern durchschnittlich im Bereich von 3:50 Minuten liegt. Tempo ist, passend zur Namensgebung der spektakulären Passage, also Trumpf. Die Fans können sie unter normalen Bedingungen am besten aus dem benachbarten Riesenrad einsehen. „Von dort erkennt jeder sofort, dass es sich nicht einfach nur um seichte Bögen handelt. Die Porsche-Kurven sind knackig, du spürst dort gewaltige Fliehkräfte. Die oftmals nahe an der Strecke stehenden Barrieren lassen das legendäre Streckenstück aus dem Cockpit heraus noch schneller erscheinen. Traumhaft für echte Racer“, schwärmt Bergmeister.

„Für mich ist die Fahrt durch die Porsche-Kurven wie ein Tanz mit dem Auto“, schildert Gianmaria Bruni seine Erfahrungen. Der Werksfahrer aus Italien weiß genau, wie man die weltberühmte Passage am absoluten Limit meistert. 2018 fuhr Bruni auf dem Weg zur Pole-Position eine sensationelle Runde. Am Steuer des Porsche 911 RSR absolvierte er den 13,626 Kilometer langen Kurs in nur 3:47.504 Minuten – ein Rekord für GTE-Fahrzeuge. „Wenn so etwas gelingt und dieser Streckenabschnitt mit seinen fünf Kurven in 17,3 Sekunden vorbeifliegt, dann gibt das uns Fahrern maximale Befriedigung. Ich kenne kaum ein besseres Gefühl“, erklärt der dreimalige Le-Mans-Klassensieger. „So etwas klappt nur, wenn alles passt: Reifen frisch und genau im Betriebsfenster, Windrichtung optimal und keinerlei Überholverkehr in den Porsche-Kurven“, fügt der Wahlmonegasse hinzu.

Sobald sich zwei Fahrzeuge in jener schnellen Passage begegnen, ist ein Zeitverlust sicher. „Wenn du auf ein langsames Auto triffst, kannst du dich nur mit Mühe vorbeiarbeiten. Ist es ein Prototyp, der dich überholt, dann geht kurzfristig Abtrieb verloren, es gibt ein lästiges Untersteuern und zwei Zehntelsekunden sind mindestens futsch“, so Bruni. Besonders das Schieben über die Vorderachse verlangsamt die Fahrt durch die Porsche-Kurven, denn das Fahrzeug muss perfekt ausbalanciert sein. Ein absolut verlässliches Einlenkverhalten ist für die schnellen Richtungswechsel bei über 200 km/h ebenfalls ein Muss – auch aus Sicherheitsgründen. „Die Barrieren und Auslaufzonen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder verändert, aber die grundsätzliche Charakteristik ist nahezu gleich geblieben. Die Porsche-Kurven bilden eine Passage alter Schule“, unterstreicht Jörg Bergmeister. „Das bedeutet: Selbst mit Asphalt am Rand und den SAFER-Barriers führt ein Ausrutscher dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Totalschaden. Kontrollierte Offensive ist also der Schlüssel für die Porsche-Kurven.“

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Die Porsche-Kurven in Le Mans gelten als große Herausforderung
Fünf schnelle Kurven, Durchschnittsgeschwindigkeit über 210 km/h
Der Porsche 911 RSR braucht für die fünf Kurven rund 17,6 Sekunden
Beste Aussicht auf die Porsche-Kurven: Das berühmte Riesenrad in Le Mans
Verkehr in den Porsche-Kurven: Zeitverlust ist erheblich
In jeder Kurve wirken Fliehkräfte von rund 2,0 g
Die Porsche-Kurven sind insgesamt 1.029 Meter lang
Le Mans 2018: Gianmaria Bruni (I) fährt in 3:47,504 Minuten eine Rekordrunde
Gianmaria Bruni (I)
Alexander Stehlig (Einsatzleiter FIA WEC)
Porsche-Markenbotschafter Jörg Bergmeister (D)

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